Interview,  Kunst

Tom Kristen

AUSSTELLUNGSTIPP: TOM KRISTEN.

Der Künstler Tom Kristen begleitet mich schon sehr lange, vielmehr: ein Bild von ihm. Vor einigen Jahren bin ich zufällig in einer Regensburger Galerie auf eine kleine Grafik von ihm gestoßen, die ich mir kurzentschlossen selbst zu Weihnachten geschenkt habe. Seither hängt dieses Bild in meinem Wohnzimmer. Den Regensburgern ist Tom Kristen inzwischen ebenfalls ein Begriff, da er das Kunstwerk „Gemeinsam“ im Atrium des jüdischen Gemeindezentrums am Brixener Hof entworfen hat. Es zeigt ein Schriftband. In goldenen Lettern kann man vor dem Eingang schwebend das Gedicht „Gemeinsam“ der jüdischen Dichterin Rose Ausländer lesen. Dieses Werk rief in weiten Kreisen Bewunderung und Anerkennung hervor.

Gemeinsam. Entwurf von Tom Kristen

Generell machte sich Tom Kristen in den letzten Jahren mit Kunst im öffentlichen und sakralen Raum einen Namen. Nun stellt der gebürtige Straubinger Tom Kristen nach zehn Jahren erstmals wieder in seiner Heimat Ostbayern aus und zwar in der Galerie artspace Erdel in Regensburg.  Unter dem Titel „Sänger im Dickicht“ zeigt der Galerist Wolf Erdel vom 27. Februar bis 24. April 2020 Malerei, Zeichnungen und Druckgrafik von Tom Kristen aus den Jahren 2009-2019.
Tom Kristen hat mir freundlicherweise vorab ein paar Fragen beantwortet:

Lieber Herr Kristen,

In Ihren Bildern tauchen oft Berge, Wolken, Engel und Faune auf. Mechtild König Kugler sagte über Sie: „Tom Kristen schüttet seine Bildwelten wie aus einer großen Spielkiste mit der Kraft des kindlichen Spiels, mit der Freiheit, die dem wilden Denken eigen ist.“ Das klingt poetisch.
Ein Zitat von Ihnen, das wir auf Ihrer Instagram Seite @tom.kristen gefunden haben, lautet „Würde der Tag kommen, an dem es mir selbst kein Rätsel mehr bliebe, würde ich alles aufräumen und nie wieder ein Bild malen. Das Unerklärbare als ‚Wert an sich‘, als Forschergrund, war schon immer der stärkste Antrieb für meine Tätigkeit, der ich mit kindlicher Neugierde nachstelle.“
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Das Wort „Stil“ löst in mir ehrlich gesagt immer etwas Unbehagen aus, ist damit doch auch immer ein Ordnungssystems, eine Schublade verbunden, in solche ich mich nicht gerne aufräumen lassen möchte. Vielleicht mache ich übermorgen „something completely different“ und diese Freiheit ist mir sehr wichtig. Man kann meine Arbeit aber gerne als figürlich-expressiv beschreiben, eine Tradition, die gerade im süddeutschen Raum (Gruppe Spur, Geflecht usw.) stark vertreten ist.
Wichtig für mich ist die Werkstrategie, also die Herangehensweise wie der Maler zum Bild kommt. Der von mir hochgeschätzte Malerkolege Karl Mordstein brachte es auf folgenden Punkt:
„Vielleicht kann man sich einer immer schneller und immer hysterischer werdenden Welt am besten dadurch entziehen, dass man die eigene Geschwindigkeit reduziert oder sogar mal stehen bleibt.“ Dies ist ein Zitat, dass mir zum Leitspruch meiner Arbeit wurde. So ist mein Arbeiten eher ein Nachdenken der machenden Hand, der ich so viel Freiheit gestattet, wie in dem Moment grad irgendwie möglich ist. Die Intuition denkt und der Intellekt empfängt… Das geschieht nicht immer gleich gut, kann aber mit jeder neuen Arbeit trainiert werden und ist mit viel Arbeit und Umwegen verbunden. Glückt aber das Experiment, gelingt die Versuchsanordnung, dann entstehen Resonanzen, dann werden Geschichten erzählt, die mich berühren, die mich etwas angehen, an die ich glauben kann. Ein Arbeitsprozess also als Nachdenken über die Kreativität selbst unter Verwendung von Symbolen, die als Assoziativmotor für weitere Gedanken funktionieren.

Tom Kristen
Tom Kristen und Galerist Wolf Erdel im Atelier. Foto: Antonia Kienberger

Die Ausstellung in der Galerie artspace Erdel trägt den Titel ‚Sänger im Dickicht‘. Wie kam es zu diesem Titel?
Der Titel ist ein phantastisches Beispiel für einen alternativen und kreativen Denkansatz im Sinne des ‚wilden Denken‘ bzw. der Bricolage (Bricolage = franz.: „Bastelei“): Gegenstände in einem neuen Kontext zu stellen, der nicht den ursprünglichen Normativen entspricht. Ein Tasten, Umwege machen und experimentieren bis sich eine Lösung ergibt. Heinrich Grupe war ein Dorfschullehrer der in den 50ern für Kinder seine „Jahreszeitlichen Wanderbücher“ veröffentlichte. Grupe erkannte eine kreative Möglichkeit der Zusammenfassung und ordnete die Vögel nicht wissenschaftlich in Gattungen und Familien sondern z.B. nach den Orten, wo er sie beim Singen beobachtet hat: Es gibt Sänger auf dem Hausdach, Vögel, die im Flug singen, Sänger auf hohen Bäumen und eben auch Sänger im Dickicht.
Faszinierend ist für mich, dass dieser Ansatz ebenso absolut präzise funktioniert. Es gibt in unseren Breiten nur zwei Vogelarten, die im verborgenen Dickicht von Fichten und Zypressen singen: der Hänfling und die Heckenbraunelle – und diese sind sehr leicht zu unterscheiden. Auch hier also ein kreatives Denken, welches auf Grundlage von Beobachtung, Sinneseindrücken einen Zusammenhang herstellt, der wesentlich von Achtung geprägt ist und der Natur ihre Würde belässt. Stoff für dutzende neue Bilder und ein Ausstellungstitel, der meine Herangehensweise beschreibt.

Tom Kristen
Tom Kristen: Regenland, Acryl auf Leinwand, 120 cm x 100 cm, 2014

Ich habe ein Bild von Ihnen zuhause im Wohnzimmer. Von welchem Künstler oder welcher Künstlerin hätten Sie am liebsten ein Bild daheim, wenn Sie die freie Wahl hätten?
Am liebsten hätte ich ein umfassend gültiges „Ausleihabo“…. 😉

In der Galerie artspace Erdel werden Bilder von 2009 bis 2019 gezeigt. Wenn Sie zurück blicken, inwieweit hat sich Ihre Kunst im Laufe der Zeit geändert?
Die gezeigten Arbeiten aus den letzten zehn Jahren sind für mich geprägt von einer Neuentdeckung der Malerei. Ich hatte zuvor fast ausschließlich druckgrafisch gearbeitet. Initialzündung waren sicherlich die für die Lithografie notwendigen technischen Aspekte und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit der Farbe. Seither kaufe ich kaum mehr fertige Farben, sondern fertige diese lieber selbst aus Pigmenten.

Woran arbeiten Sie derzeit?
Nachdem gerade die Hauskappelle der Regensburger Domspatzen fertiggestellt wurde, darf ich jetzt für die Pfarrkirche St. Elisabeth in Blaibach eine neue liturgische Ausstattung gestalten. Dafür arbeiten wir gerade im Steinbruch am Stein und müssen uns sputen, damit bis Ostern alles gelingt.

Tom Kristen
Domspatzenkapelle | Tom Kristen

Sie haben in Regensburg an der FH Ihren Abschluss in Architektur gemacht. Haben Sie einen Lieblingsplatz in Regensburg?
Auch wenn ich seit fast 20 Jahren nicht mehr in Regensburg wohne, ist ganz Regensburg immer noch mein Lieblingsplatz, ein Zuhause. Ich hatte während der Studentenzeit eine wunderbare kleine Wohnung am Ölberg. Damals hatte Regensburg noch reichlich unrenovierte Ecken, ein Eldorado für den Flaneur in mir. Lieblingsplatz: Altstadt und darin besonders natürlich die neue Synagoge. Ein Architekturniveau, welches selten so zu finden ist. Hier ist dem Büro Volker Staab ein Raumwunder in beengter Altstadtsituation mit der Präzision eines Uhrwerks gelungen.

Vielen Dank für das Interview!

Die Ausstellung von Tom Kristen wird am 27. Februar 2020 um 20.00 Uhr im artspace Erdel am Fischmarkt 3 eröffnet. Tom Kristen wird bei der Vernissage anwesend sein.

Ausstellung: Sänger im Dickicht
vom 27. Februar bis 24. April 2020
artspace Erdel, Fischmarkt 3, 93047 Regensburg.
Öffnungszeiten der Ausstellung:
Montag bis Freitag von 11.00-18.00 Uhr und nach Vereinbarung.

Tom Kristen
Tom Kristen: Bergtraum, Acryl auf Karton, 35 cm x 25 cm, 2017

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